95 Prozent der Verbrauchern angebotenen Finanzprodukte sind nicht bedarfsgerecht, weil zumeist überteuert. Zu diesem „alarmierenden und niederschmetternden“ Ergebnis kommt der gestern vorgestellte erste Bericht des bei den Verbraucherzentralen angesiedelten Finanzmarktwächters. Dies sei letztlich das Ergebnis des provisionsgetriebenen Vertriebs bei Banken und Finanzanlagen-Vermittlern.
Der bei den Verbraucherzentralen angesiedelte Finanzmarktwächter hat gestern einen ersten Bericht zur Beratung von Verbrauchern bei Anlageprodukten vorgelegt. Geprüft wurde, ob Verbraucher bedarfsgerecht beraten wurden.
Ausgewertet wurden die bei den Verbraucherzentralen innerhalb von zwölf Monaten geführten 835 persönlichen Geldanlage- und Altersvorsorge-Beratungen. Bewertet wurden 3.864 Anlageprodukte.
Die gewonnenen Ergebnisse seien zwar nicht repräsentativ, aber legten doch die Mängel offen, sagte Werner Bareis, Teamleiter Marktwächter Finanzen bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
95 Prozent der angebotenen Produkte waren nicht bedarfsgerecht
Das Produktangebot war in 95 Prozent der Fälle nicht bedarfsgerecht auf die Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten. Schaut man auf die einzelnen Produktgruppen, so wurden nahezu alle als überteuert angesehen. Bausparverträge fielen deshalb zu 100 Prozent durch. Es lagen aber auch nur zwölf Angebote vor. Bareis verwies auf die (vergleichsweise) hohen Abschlusskosten bei einem Bausparvertrag, da gäbe es preiswertere Alternativen.
Und bei den von Verbrauchern bereits erworbenen Finanzprodukten waren fast die Hälfte nicht bedarfsgerecht, wobei überhaupt nicht einmal jeder vierte Ratsuchende ausschließlich bedarfsgerechte Produkte besaßen. Bei allen anderen war mindestens ein Produkt zu bemängeln. Hier wurden Bausparverträge wegen geringer Rendite abgewertet.
Auf die Frage, ob denn nicht im Wesentlichen verärgerte Verbraucher in die Beratungsstellen kämen, die bereits mit einem Produkt Probleme hätten, sagte Bareis, es gebe auch viele Verbraucher, die vor sich dem Erwerb eines Finanzprodukts eine Zweitmeinung einholen wollten. Bei den Verbrauchern stünden in 87 Prozent der Fälle Produkte der Altersvorsorge im Zentrum ihrer Anlageziele, gefolgt von einer allgemeinen Rücklagenbildung (47 Prozent) und einem Immobilienerwerb (37 Prozent).
Das angewandte Konzept zur Bewertung der Bedarfsgerechtheit stelle zum einen auf objektive Bewertungskriterien und zum anderen auf subjektive Ansprüche und Wünsche der Ratsuchenden ab, erläuterte Bareis. Kernkriterien sind dabei die Kosten, die Rendite, die Flexibilität und das Risiko.
Provisionsoffenlegung muss her
Für Teamleiterin Finanzen beim Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV) Dorothea Mohn gibt es nur eine Schlussfolgerung: Für alle kapitalansparenden Finanzprodukte müsse es ein Provisionsverbot geben. Vor allem der Versicherungsbereich sei viel zu lasch reguliert. Hier müssten nicht einmal die Provisionen offen gelegt werden.
Nur wenn dieses Preisschild bekannt sei, sei auch ein Wettbewerb mit der Honorarberatung möglich. Und wenn die Vermittler ein solches Preisschild tragen müssten, würde auch die Honorarberatung deutlich an Boden gewinnen, ist sich Mohn sicher.
Dorothea Mohn (Bild: Brüss)
Die Untersuchungsergebnisse, die auf 62 Seiten zusammengefasst sind, sind auch an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-Aufsicht (Bafin) übermitteln worden. Mohn bemängelte in diesem Zusammenhang, dass es in Deutschland keine einheitliche Finanzaufsicht gebe. Auch die Versicherungsvermittler müssen unter die Aufsicht der Bafin, sagte Mohn.
GDV beklagt realitätsferne Definition…
In einer ersten Reaktion bezeichnete der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) die Ergebnisse als „irreführend“. Insbesondere für die Kernaussage, 95 Prozent der aktuellen Angebote passten nicht zum Bedarf, gebe es keine Grundlage, weil der Finanzmarktwächter die Anforderungen an ein bedarfsgerechtes Produkt realitätsfern definiere.
So werde der Verbraucher-Bedarf nur dann als erfüllt gesehen, „wenn das gewählte Produkt auch gleichzeitig das ‚bestmögliche‘ am Markt verfügbare ist“, erläutert GDV-Hauptgeschäftsführungs-Mitglied Dr. Peter Schwark.
„Es liegt auf der Hand, dass in einer Marktwirtschaft mit einer Vielzahl an Anbietern zwar alle Verbraucher passgenaue und damit bedarfsgerechte Produkte bekommen können, jedoch nie gleichzeitig auch alle das ‚beste‘, das heißt das jeweils billigste, flexibelste, sicherste oder rentierlichste Produkt erwerben“, so Schwark.
… und methodische Fragwürdigkeiten
Aufgrund massiv unterschiedlicher Produkteigenschaften und Servicequalitäten entstünden Verzerrungen, etwa „wenn Indexfonds, ETFs und Direktversicherer zum alleinigen Maßstab für Kosten und Rendite gemacht werden, die den Aufwand einer Anlageberatung grundsätzlich nicht vergüten.“
Der unrealistisch hohe Prozentsatz vermeintlicher Falschberatungen sei nur durch diesen methodisch fragwürdigen Ansatz zu erklären. Schwark kritisierte, dass man mit dem gleichen methodischen Ansatz den Tankstellenpächtern vorwerfen, 95 Prozent der Autofahrer würden nicht ‚bedarfsgerecht‘ tanken, weil sie nicht die jeweils billigste Tankstelle gewählt hätten.
Marktwächter Finanzen
Geleitet wird das Projektteam Marktwächter Finanzen beim Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV) in Berlin von Christian Ahlers. Neben der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg sind schwerpunktmäßig die Verbraucherzentralen Hamburg (Versicherungen), Bremen (Immobilienfinanzierung), Hessen (Grauer Kapitalmarkt) und Sachsen (Bankdienstleistungen und Konsumentenkredite) eingebunden. Der Finanzmarktwächter Finanzen wird bis Ende 2017 mit rund 12,4 Millionen Euro durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) gefördert. Die Beratung in den Zentralen ist kostenpflichtig. In Baden Württemberg beträgt das Honorar für eine zweistündige Beratung 160 Euro. Bei einer Falschberatung werde selbstverständlich auch gehaftet, sagte Mohn auf Nachfrage. Die Untersuchung soll im kommenden Jahr erneut gemacht werden, wobei auch nach den Beratern/Vermittlern gegen Provision und Honorar gefragt werden soll.
Manfred Brüss